Sources : Kapitel V. Ternäre Regulierung: Die Zugehörigkeit, das Allgemeine und das Besondere. I. Identität, Alteriert, Interität In Jacques Demorgon : Interkulturelle Geschichte der Gesellschaften. Erster Teil. Die Gestaltung des Interkulturellen.
Auf Deutsch – Traduction inédite (OFAJ-DFJW : Hella BEISTER) de J. Demorgon : L’HISTOIRE INTERCULTURELLE DES SOCIÉTÉS Une information monde. 2e édition revue et augmentée Paris : Economica : V. La régulation ternaire. L’appartenance, l’universel et la singularité(p. 58-64). I. Identité, Altérité, Intérité.
Kapitel V. Ternäre Regulierung: Die Zugehörigkeit, das Allgemeine und das Besondere
Der Wert des Dimensionenansatzes liegt darin, dass er, wie schon mehrfach betont, den Einzelnen zwingt, die Ebene der Interkulturalität, auf der er sich gerade befindet, nicht für die einzig mögliche zu halten. Wir verweisen auf diesen methodologischen Grundsatz nicht deshalb mit solchem Nachdruck, weil wir irgendeine Ebene der Interkulturalität im Vergleich zu anderen abwerten möchten. Im Gegenteil, wir gehen davon aus, dass unabhängi von allen Intellektuellen Moden jeder, der als Forscher oder in der Praxis mit einer bestimmten Ebene er Interkulturalität zu tun hat und sie dabei nicht im Zusammenhang mit den anderen Ebenen sieht, seine Forschungs- oder Bildungsarbeit um einen Teil ihrer Wirkung bringt. Wir haben außerdem darauf hingewiesen, dass diese methodologische Überlegung auch für die Frage der Mediation gilt. Eine auf soliden Kennmissen beruhende, in die Tiefe gehende und eben dadurch authentische Mediation muss, wie wir oben bereits gesehen haben, mit Hilfe on von Metakognition und Metakommunikation zu einer besseren, gemeinsamen Zuordnung und Handhabung kognitiver und emotionaler Sachverhalte führen. Das Ergebnis aber ist nicht shon deshalb mehr als eine einfache Kognition und Komrnunikation, weil es sich dabei um Prozesse auf der Metaebenehandelt. Die Mediation braucht eine Grundlage, die tiefer geht und die sie nur in der ternären antagonistischen Regulierung finden kann. Diese soll nun in einigen Aspekten näher befrachtet werden.
I./Identität, Alterität, Interität
Wir wollen zunächst auf zwei weit verbreitete, aber falsche Auffassungen von Mediation ingehen. Bei beiden ist der interkulturelle Ausgangspunkt ego und alter, Ich und derAndere. Die erste aber sieht ihr Ziel darin, das Ich und den Anderen durch Mediation zu einem Wir werden zu lassen. An die Stelle von Gegensatz und Unterschied sollen Einklang und Ähnlichkeit treten. Die zweite wendet sich gegen diese Illusion von Integation, Assimilation, Fusion. Bei ihr soll die Mediation lediglich die — zeitweiligen, punktuellen oder längerfristigen – Konkurrenz- oder Kooperationsbeziehungen erleichtern, die ursprünglichen Identitäten jedoch immer in ihrer grundsätzlichen Alterität belassen, auch wenn sie sich sekundär anders entwickeln mögen. Im ersten Fall geht die Alterität dank der Mediation durch eine Interität hindurch, aus der dann diene gemeinsame Identität entsteht. Mit dieser gilt die Arbeit als abgeschlossen, obwohl sie doch schon deshalb immer weitergehen muss, weil das neue « Wir » immer wieder auf andere « Wir » stoßen und sich mit ihnen auseinandersetzen oder sie sich anvenvandeln wird.
Im zweiten Fall geht die Mediation durch eine Interität hindurch, bei der sich die Naturen oder Kulturen zwar ebenfalls wechselseitig beeinflussen und dadurch weiterentwickeln können, aber stets wieder in eine – veränderte, aber an die frühere anknüpfende – Alterität zurückfallen.
Der Gegensatz der beiden Auffassungen besteht also darin, dass die eine primär am Gleichsein, die andere primär am Anderssein orientiert ist. Auch hier wieder wäre es einFehler, sich für einen dieser beiden Pole entscheiden zu wollen. Der Sinn der antagonistischen adaptiven Regulierung ist ja gerade, dass sie viele verschiedene, der Vielfalt der Situationen und der Freiheit der Akteure entsprechende adaptive Lösungen zulässt.
Diese Interität in ihren vielfältigen und komplexen, stets aus Gleichsein und Anderssein zusammengesetzten Formen muss neben Identität und Alterität als gleichwertige Realität anerkannt werden. Siattdessen wird sie ignoriert, eliminiert, ja gar nicht erst genannt, so dass man sie auf diese Weise auch nicht anerkennen und sich mit ihr befassen muss. Wir haben es hier mit einer großen kulturellen Grundorientierung zu tun, bei der, wie D.-R. Dufour in Anknüpfung insbesondere an C. S. Peirce gezeigt hat, die unäre und die binäre Logik stets über die ternäre Logik siegen. « Eins » existiert als « Ich » und als « Wir ». « Zwei » existiert als Kampf oder als Dialog, aber Drei, das Dritte, existiert gar nicht oder existiert zwar, aber stumm. Dieses Dritte aber, das abgelehnte, ausgeschlossene oder geopferte Dritte, ist der Dreh- und Angelpunkt jeder Mediation. Das Dritte und die Interität gehören zusammen.Wir wollen dies anhand einiger grundlegender Formen der Interkulturalität erläutem.
II./ Das Ethnische, das Nationale, das Globale
Heute wird vielfach in Gegensätzen gedacht, die zur Klärung beitragen sollen, es aber, wie zum Beispiel der Gegensatz von Globalisierung und Ethnizi t oder Nationalität, nicht wirklich tun. Ethnizität oder Nationalität stehen angeblich für chließung, Globalisierung für Öfftung. Wieder einmal will man nichts wissen von einer agonistischen Regulierung, bei der wir überhaupt erst einmal feststellen müssten, zu welchen Anteilen Schließung undÖfftung an einer bestimmten Situation beteiligt sind. Die Globalisierung nämlich hat von beidem etwas. Hinter dem scheinbar einleuchtenden Gegensatz verbirgt sich in Wahrheit ein zentrales Problem, das zu einem noch allgemeineren Gegensatz hinfihrt, nämlich dem Gegensatz von Zugehörigkeit einerseits, dem Allgemeinen andererseits, wobei auch hier wieder die Zugehörigkeit angeblich für Schließung und das Allgemeine angeblich für Öfftung steht.
III./ Die Zugehörigkeit, das Allgemeine und das Besondere
Um diese Frage richtig anzugehen, muss man zunächst einmal feststellen, dass die großen Universalien von Religion oder Vemunft früher oder später immer im Zusammenhang mit Situationen aufgetreten sind, in denen Menschen, die sich auf sie beriefen, zu Henkern anderer Menschen wurden Aber auch wenn umgekehrt jede Berufung auf das Allgemeine abgelehnt, verschmäht oder ignoriert wird, ist dp keine Garantie. Nur allzu viele Menschen haben sich im Laufe der Geschichte unter Berufung auf ihre soziale Zugehörigkeit zu Henkern derer gemacht, für die eine andere Zugehörigkeit galt.
Jede Orientierung am Gleichsein, so voluntaristisch, såukturiert und institutionell abgesichert sie auch sein mag, enthält unweigerlich auch eine Orientierung am Anderssein, das irgendwann zutage fritt: als Mensch, der allen Überzeugungen zum Trotz wieder zum Sklaven wird; als Mensch, den seine Rasse, seine Arbeit, seine Kultur als anders ausweisen; als Mensch ohne Eigentum und als Frau, für die die Demokratie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nicht gilt; oder als Frau, der im Christentum – ein ungelöstes Problem der Zugang zum Priesteramt immer noch verwehrt wird. Immer wieder taucht imAllgemeinen unweigerlich die besondere Zugehörigkeit auf. Vor der gewöhnlichen wie vor der extemen Barbarei schützt uns das eine so wenig wie das andere. Denn auch hier wieder fehlt eine Anerkennung der Interität. In Wirklichkeit ist dieAuffebung der Zugehörigkeit zu einem bereits bestehenden und kulturell ierten familialen und soüen Milieu ein Ding der Unmöglichkeit. In diesem Sinne-stellt gerade die Zugehörigkeit eine erste Universalie dar, die allen Menschen gemeinsam ist, auch wenn ihnen dies vielleicht gar nicht bewusst ist. Also muss man gleich hinzufügen, dasykeine Zugehörigkeit, so machtvoll und geschlossen sie auch sein mag, jeden Kontakt, jeden Austausch, jeden Umgang, jedes Bündnis immer und überall ausschließen kann. Immer taucht der Andere zugleich am Horizont und mitten im Universum des Gleichseins selbst auf. Ein und dieselbe Zugehörigkeit nämlich umfasst ganz unvermeidlich lauter je nach Situation, Funkfion, Zeitpunkt, sozialer Rolle, Alter, Geschlecht, Zugehörigkeit zur Welt der Lebenden oder der Toten unterschiedliche Modalitäten von Zugehörigkeit. Der Tatbestand der Zugehörigkeit an sich war eine erste menschliche Universalie; der Tatbestand, dass wir uns als Gleiche immer auch in einer Interaktion mit « dem Anderen » befinden, ist nun eine zweite.
Diese Orientierung an der Interität, die ihren Platz zwischen Zugehörigkeit und Allgemeinheit hat, ist eine Orientierung an der Besonderheit. Ich stehe zwischen meiner tatsächlichen Zugehörigkeit zu bestimmten « Wir » und der Perspektive eines „Alle ». Meine Weigerung, beides voneinander zu tennen, die Notwendigkeit, das eine durch das andere zu bearbeiten, genau dies macht mich zum einmaligen Dritten, zum Besonderen in dieser meiner ueigensten Arbeit. Meine grundsätzliche Einmaligkeit kommt von meiner Zugehörigkeit und von meiner Allgemeinheit her, die auch die der anderen ist. Damit sind wir in dieser gemeinsamen Arbeit nicht nur lauter Wir, sondern auch jeder ein Dritter für den anderen, wir spielen unsere Zugehörigkeiten auf der Ebene unserer Besonderheiten durch und verringern damit die Wahrscheinlichkeit einer Verwechslung zwischen dem Universalen und dem, was im Augenblick gerade den Anspruch erhebt, es zu repräsentieren. Nur wenn diese Gesamtdynamik von Zugehörigkeit, Allgemeinem und Besonderem lebendig bleibt, können sich die Menschen vor jenen Barbareien einigermaßen sicher fihlen, die immer dann wieder ausbrechen, wenn Besonderheiten verherrlicht werden, die Anspruch auf Ausschließlichkeit erheben und unter denen man leicht auch Pseudo-Universalien findet.
IV./ Das Reale, das Imaginäre und das Symbolische
Die ternäre antagonistische Regulierung kommt natürlich in ternären Antagonismen zum Ausdruck. Zu den Triaden von Peirce (ich, du, er bzw. Sie) und Hegel (das Besondere, das Allgemeine und das Einmalige) kommt nun noch die Triade von Lacan hinzu (das Reale, das Imaginäre und das Symbolische). Dieser ternäre Antagonismus verscham uns Zugang zum Verständnis von drei Grundprozessen. Dem Imaginären, unter dem hier die Unterwerfung unter die Allmacht der Phantasien zu verstehen ist, begeglet man am häufigsten bei seinen Frontalzusammenstößen mit dem Realen. Aus der damit verbundenen Enttäuschung kann leicht Hass werden. Das Reale, die Anderen, haben uns enttäuscht, und das nehmen wir ihnen übel.
Eine weitere Enttäuschung erwartet uns in Gestalt der Diskrepanz zwischen dem Realen und dem Symbolischen: Das Symbolische scheint oft außerstande, uns zu einer befriedigenden Repräsentation des Realen zu verhelfen. Unsere Situation, so stellen wir fest, ist Unwissenheit. Zum Wissen aber kommen wir nur über eine Arbeit am Realen, die eine Überprüfung dieses Realen, aber auch unserer selbst ist.
Nicht minder tief ist der Gegensatz zwischen dem Imaginären und dem Symbolischen. Das Symbolische wird als Repräsentation des dem Menschen äußerlichen Realen konstruiert und soll doch zugleicb auch die Repräsentation des subjektiven, intimen Realen und damit jenes weitgehend emotionalen Imaginären leisten, aus dem dieses besteht. Es handelt sich also keinesfalls bloß um eine veräußerlichte Repräsentation. Die Arbeit des Symbolischen ist hier als der organisierende, sfrukturierende Zugriff auf das von den Situationen des relationalen Lebens ständig neu angestoßenen Schwankungen des Trieb- und Gefihlslebens zu verstehen. Dies ist nur möglich, wenn das Wissen um das Symbolische zugleich als Liebe zu sich selbst, zum anderen, zur Menschheit empfunden wird.
Damit sind wir wieder bei dem vorigen ternären Antagonismus angelangt. Tatsächlich wird die Arbeit des Symbolischen am Realen und am Imaginären von diesem Realen und diesem Imaginären, die beide grenzenlos sind, ständig weitergeführt. Die Produkte des Wissens wie der Liebe können niemals für die Prozesse eintreten, über die sie gewonnen werden. Diese Prozesse müssen immer weiter vorangetrieben werden. Ganz zu Recht spricht Michael Walzer von zwei gegensätzlichen Universalismen, um dann gegen den einen, angeblich « übergreifenden » und für den anderen, bescheideneren, stets zu wiederholenden Partei zu ergreifen. Olivier Mongin weist auf die Nähe dieser Überlegungen zu Merleau-Ponty hin, der von einem lateralen, als « unausgesetzte Überprüfung des Selbst durch den Anderen und des Anderen durch das Selbst » definierten Universalismus spricht. Und noch einmal anders wird dies in der Sprache Sarfres formuliert, der in der « Kritik der dialektischen Vernunft » darauf hinweist, dass keine Praxis ihrem Zurücksinken in das Praktisch-Inerte entgehen kann.
V./ Die Toten, die Lebenden und die Menschheit
Die oben dargestellten Formen der ternären Logik decken sich mit jener temären Logik, die die Toten, die Lebenden und die Menschheit verbindet. Die Lebenden liegen ständig in Konflikt miteinander und bilden ununterbrochen Gruppen mit gegensätzlichen Interessen und Überzeugungen. Aber ob sie sich bekämpfen oder sich einander annähern, immer geschieht dies im Hinblick auf ein Drittes, das bei diesem Kampf oder Arrangement der Verlierer ist. Dieses Dritte kann die Natur der ganzen Welt sein, wie sie beim ökologischen Denken im Vordergrund steht. Es können die Lebenden von heute sein, die man wieder einmal ihrem permanenten Eleng überlässt. Es können die Toten von gestern sein, deren Opfer bei den Projekten von heute kaum noch ins Gewicht fallen.
Menschlichkeit aber gibt es nur durch diese Dritten. Wo sie nicht berücksichtigt werden, geht die Barbarei weiter oder bricht neu aus.
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